Ferngestrampelt: Über das Vergnügen, durch die Welt zu gleiten

Zeichnung von einem blauen Fahrrad an einem Baum
Gastbeitrag
Ein Sommerloch ist doch bestens dazu geeignet, mal jemand anderen zu Wort kommen zu lassen. Im Rahmen einer „Tauschbörse“ für Blogbeiträge in meinem Lieblingsnetzwerk Texttreff habe ich einen Gastbeitrag geschenkt bekommen. Nina Bodenlosz war schon einmal zu Gast auf meinem Blog, damals ist sie für Ferngeweht Zug gefahren. Noch lieber als mit dem Zug fährt sie allerdings mit dem Fahrrad durch die Landschaft. Und manchmal kombiniert sie beides.

In die Pedale treten und von der Ferne träumen

Früher fuhr ich mit dem Rad zur Schule, zum Flötenunterricht, zu den Ponys im Nachbarort. In meiner Erinnerung legte ich bei Regen, Schnee und Eis alle Wege mit dem Rad zurück. Nur bei Orkan und Schneeverwehungen holte mein Vater seufzend das Auto aus der Garage und chauffierte mich.

Gangschaltungen waren bei meinen Eltern verpönt, und erst als es keine anderen Räder mehr im Angebot gab, durfte ich ein Rad mit drei Gängen fahren. Ein unnötiger Schnickschnack, wie stets betont wurde.

Zeichnung von einer abstrakten Landschaft mit einer kurvenreichen Straße zwischen grünen Büschen und einer Ansammlung bunter Formen auf Gras.

Zeichnung von Katarina, der Erfinderin von Nina Bodenlosz.

Schon damals mochte ich die besondere Bewegung auf dem Rad, das leise Dahingleiten, wenn nicht gerade etwas klapperte, das Hochkämpfen am Hang und das Erfolgserlebnis, wenn ich oben angekommen war. Ein paar Mal nahm mich meine große Schwester mit zu einer Tour an einen Badesee. Wir fuhren über die Dörfer, vorbei an Bauernhöfen und Biergärten, durch Wälder und an Flüsschen entlang. Dicht neben uns schossen Autos vorbei, Fahrradwege waren im bayerischen Voralpenland noch unbekannt. Abends lag ich erschöpft, aber zufrieden im Bett und erlebte die Fahrt noch einmal.

Ich hörte, dass andere Familien Fahrradtouren unternahmen, manche über mehrere Tage hinweg. Ich stellte mir das großartig vor. Einfach aufs Rad zu steigen und immer weiter zu fahren, zu sehen, wohin mich meine strampelnden Beine tragen würden. Leider blieb es ein Traum. Wir fuhren als Familie mit dem Auto in den Urlaub und gingen zu Fuß.

Weitere Kreise ziehen

Als Erwachsene vergaß ich den Wunsch nach einer Radtour. Ich fuhr zwar bald wieder mit dem Rad durch eine Großstadt, aber immer noch war das Fahrrad Verkehrsmittel.

Das änderte sich erst, als ich mich an meine Sehnsucht erinnerte und mutig einen Fahrradurlaub buchte. Ich hatte gezögert. Ich hatte Angst, dass ich nicht mithalten könnte. Angst vor Rädern mit vielen Gängen, denn immer noch fuhr ich mit null bis drei Gängen auf gebraucht gekauften oder geschenkten Rädern. Was, wenn ich mit der komplizierten Technik nicht zurechtkäme? Wenn ich als Schlusslicht mit rotem Kopf hinterherkeuchen würde und allen zur Last fiele?

Zeichnung von einer Frau auf einem Rad in den Bergen

„Das Leben ist wie Fahrradfahren. Um das Gleichgewicht zu halten, musst du in Bewegung bleiben.“ – Albert Einstein. (Bild: KI)

Der Urlaub war wunderbar. Ich entdeckte die Freude am schnellen Fahren, sauste mit den Männern aus der Gruppe voraus über Stock und Stein, vergaß die Angst und lachte. Ich erkannte mich kaum wieder. Ich war doch die Vorsichtige, Unsportliche, die Alltagsradlerin ohne Ambitionen.

Danach leistete ich mir ein Trekkingrad mit vielen Gängen und schloss mich einer Gruppe an, die im Sommer samstags von Berlin aufs Land auszog und Fahrradtouren unternahm. Wir streiften durch Brandenburg, erfuhren die Landschaft. Ich stellte fest, dass ich einen guten Orientierungssinn besaß. Wenn ich eine Route einmal gefahren war, erkannte ich sie wieder wie ein Esel den Weg zum Stall. Bislang war mir dieses Talent nicht aufgefallen. Abends saßen wir in einem Biergarten und tranken Radler, bevor wir zum Bahnhof aufbrachen.

Mit dem Fahrrad im Zug

Die Fahrten als Radfahrer mit der Bahn waren oft abenteuerlich. Die Fahrradabteile platzten im Sommer aus allen Nähten, Männer schwangen sich zu Feldwebeln auf und gaben Anweisungen, wie die Räder zu platzieren wären, andere quetschten sich irgendwie dazwischen und machten sich Platz. Familien reisten mit Anhängern, unzähligen Packtaschen und drei tobenden Kleinkindern. Dazwischen saßen störrische Passagiere ohne Gepäck oder Fahrrad mitten im Mehrzweckabteil und weigerten sich, auch nur einen Zentimeter zur Seite zu rutschen. Die Ostseezüge, die spät in die Stadt zurückkehrten, waren proppenvoll. Menschen mit Sonnenstich lagen auf den Sitzen, übermüdete Kinder heulten, Eltern schimpften oder hatten resigniert. Es spielte laute Musik, Bierflaschen wurden herumgereicht. Manchem Passagier wurde übel.

Zeichnung von einem Mann auf einem Rad auf einem Waldweg

„Jedes Mal, wenn ich einen Erwachsenen auf einem Fahrrad sehe, verzweifle ich nicht mehr an der Zukunft der menschlichen Rasse.“ – H.G. Wells. (Bild: KI)

Wir pressten uns hinein in das Chaos. Eben noch hatte uns eine sanfte, kühle Sommernacht umhüllt. Käuzchen riefen. Dann verschlang uns der Zug, Lärm, Gestank und Hektik brachen über uns herein. Immerhin schafften wir es fast jedes Mal, in den Zug zu kommen. Das war ein großes Glück, denn es wäre schwierig gewesen, eine Möglichkeit zum Übernachten zu finden.

Spuren legen

Nach der Anfahrt fielen wir mittags aus dem Fahrradabteil in die Landschaft hinein. Der Zug fuhr ab und ließ uns auf einem schmalen Bahnsteig zwischen sanften Moränenhügeln zurück. Wir fanden den Einstieg in unsere Route und glitten dahin. Meist schnurrten die Räder über glatte Wege, gebaut mit EU-Fördermitteln für strukturschwache Gebiete, wie uns Schilder erklärten. Auf den Passagen durch die Dörfer wurden wir zwischendrin auf altem, spitzem Kopfsteinpflaster durchgerüttelt.

Neben der buckeligen Dorfstraße führte meist ein schmaler Trampelpfad aus Sand entlang. Auch in den Wäldern landeten wir manchmal auf tief durchwühlten Sandwegen. Riesenhafte Landmaschinen oder Baumfällmonster hatten den Weg zermahlen. Es blieb nur Schieben, Waten, Kämpfen, das Rad über Wurzeln Wuchten. Und doch, wenn wir fluchend und verschwitzt das Schlimmste hinter uns hatten, erschien schon wieder das breite Lächeln auf unseren Gesichtern. Wir stiegen auf und flogen los durch die Welt.

Zeichnung von einer Frau auf einem Rad an einem Fluss

„Bei keiner anderen Erfindung ist das Nützliche mit dem Angenehmen so innig verbunden wie beim Fahrrad.“ – Adam Opel. (Bild: KI)

Pannen hatten wir nur wenige, und wir meisterten sie gemeinsam, während Mückenschwärme um uns kreisten. Wir verirrten uns, Jäger versperrten uns mit Schießübungen den Weg, wir verpassten den Zug, aber glücklicherweise nicht den allerletzten. Die überwundenen Schwierigkeiten ließen die Ausflüge noch beeindruckender erscheinen.

Eintauchen in die Welt

Seit der Pandemie fahre ich nicht mehr regelmäßig hinaus aufs Land. Aber ab und zu packt mich die Sehnsucht. Ich radle zum Bahnhof, steige in den Regionalexpress und lasse mich hinaustragen aus der Stadt. Auf den Hügeln, zwischen den Feldern, am Ufer der Oder oder der Elbe fühle ich mich als Teil der Landschaft. Ich tauche ein in das Rufen der Vögel, die Weite des Himmels, den Wind, der mich umfasst. Zeit spielt keine Rolle. Ich schwebe, ich gleite über die Wege, mein Blick verliert sich in der Ferne.

Abends kehrt Ruhe ein. Selbst lange Wartezeiten am Bahnhof können als Meditationsanlass dienen. Ich kehre zurück zwischen die Häuserzeilen, auf die breiten Straßen voller Menschen, in meine Wohnung über den Dächern. In meinem Kopf nehme ich die Landpartie mit. Ich schließe die Augen und fliege über Wege zwischen hohen Hecken, über Bahnbrücken und auf Deichen am Flussufer entlang. Ich erinnere mich an das Gefühl, in die Welt zu gehören. Es ist ein Schatz aus dem Sommer, den ich im Winter heben kann.

Veröffentlicht am: 23. Juli 2025

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Veröffentlicht am: 23. Juli 2025

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